Die Überzeugunstäterin

Tanja Wulff-Bruhn ,ermittelte‘ ihren ersten Straftäter schon im Alter von sechs Jahren. Heute ist sie Polizeipräsidentin in Göttingen und Vorgesetzte von mehr als 3.000 Mitarbeitern. ­Warum sie auch in dieser Funktion noch ­Bösewichte im Zug dingfest macht und Frauen ermutigt, Führungsverantwortung zu über­nehmen, erzählt sie uns nach ihrem ersten Jahr als oberste Polizistin Göttingens. 

Tanja Wulff-Bruhn war gerade sechs Jahre alt, da habe sie ihr erstes Schlüsselerlebnis mit der Polizei gehabt. „Das war während eines Urlaubs mit meinen Eltern und meiner Schwester in Bad Lauterberg im Harz.“ Zusammen mit ihrem Vater habe sie damals einen Autoaufbrecher auf frischer Tat beobachtet. „Weil ich mir das Kennzeichen gemerkt habe, konnte die Polizei den Täter wenig später festnehmen“, erzählt Wulff-Bruhn. Zur Belohnung habe sie von den Beamten einen Polizei-Teddybären bekommen. „Das war damals ganz toll für mich.“ Wohl auch deshalb habe der Gedanke, später einmal ­Polizistin zu werden, sie seit dieser Zeit nicht mehr losgelassen. 

Dabei stamme sie nicht aus einer Polizeifamilie, sagt Wulff-Bruhn. Im Übrigen hätte es auch näher gelegen, sich einen Beruf im Rettungswesen zu suchen. „Ich bin praktisch in der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft groß geworden“, sagt Wulff-Bruhn. Mit ihren Eltern habe sie sehr früh den Rettungs-Wachdienst der Rettungsschwimmer der Deutschen Lebens-Rettungs-­Gesellschaft (DLRG) kennengelernt, „und zwar an der Weser in Vlotho und an zwei großen Badeseen. Sie habe dort gerne geholfen.

Über Umwege zur Polizei

Der Wunsch, Polizistin zu werden, sei auf Dauer aber stärker gewesen. Trotzdem wäre aus dem Vorhaben beinahe nichts geworden. Denn als Wulff-Bruhn sich nach dem Abitur für den Polizeidienst in ihrem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen bewarb, verlief der Einstellungstest nicht so, wie es sich die junge Bewerberin vorgestellt hatte: Ihr wurde nach dem Test offenbart, dass sie – anders als erhofft – nicht für den gehobenen, sondern ,nur‘ für den mittleren Dienst eingestellt werden könne.

Die ehrgeizige junge Frau ließ aber nicht locker, fand für sich eine Lösung. Auch wenn diese einen Umweg bedeutete. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Industrie­kauffrau und bewarb sich bei der Polizei in Niedersachsen. Dort lief es besser: Sie schloss das im Jahr 1997 begonnene Diplomstudium an der damaligen Fachhochschule der Polizei in Hann. Münden erfolgreich ab. 

„Ich habe die Polizeiarbeit – wie man so schön sagt – von der Pike auf gelernt.“ Sie durchlief zahlreiche Sta­tionen, bekleidete verschiedene Posten und merkte dabei immer deutlicher, „dass ich den für mich richtigen Beruf ergriffen hatte“.

In diesen ersten Jahren habe sie „nicht im Traum daran gedacht“, welch steilen Karriereweg sie einmal einschlagen würde. Denn Bereitschaftspolizei und Streifendienst erfüllten sie vollkommen, das habe sie „sehr, sehr gerne“ gemacht. Dort wollte sie bleiben. Ein Master­studium an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster-Hiltrup später war der Startpunkt für die Reise auf der Karriereleiter Stationen bei der Polizei und im Innenministerium in Hannover führten sie im April 2023 ins Amt der Präsidentin der Polizeidirektion in Göttingen. Dort ist sie für sechs große Inspektionen und Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich.

Hannover bleibt die Heimat

Nach Göttingen gezogen ist sie allerdings nicht, sagt Wulff-Bruhn. Vor allem ihren neun und zwölf Jahre alten Kindern zuliebe habe sie den Wohnsitz südlich von Hannover behalten. Aber auch sie selbst fühle sich dort integriert und zu Hause, reist regelmäßig mit dem Zug dorthin, wo sie gebraucht wird. „Das klappt relativ gut, wenn bei der Bahn nicht gerade gestreikt wird“, sagt Wulff-Bruhn. Von Vorteil sei, dass sie unterwegs am Laptop viel Arbeit erledigen könne. Hinzu komme, dass auch Kolleginnen und Kollegen dieselben Züge nutzen. „Da können wir schon mal berufliche Dinge während der Fahrt besprechen.“

Bisweilen komme es während der Fahrt auch zu Polizeieinsätzen: „Wenn die Zugbegleiterinnen oder Zugbegleiter Fahrgäste erwischen, die ohne Fahrschein unterwegs sind und die Personalienfeststellung verweigern, fragen sie über Lautsprecher nach, ob jemand von der Bundes- oder Landespolizei an Bord ist. Wenn nötig, springe ich dann auch selbst mal ein“, sagt die Polizeipräsidentin, die – obwohl sie das in ihrer Funktion nicht müsste – sehr gerne Uniform trägt. „Das zeigt, dass ich Polizeivollzugsbeamtin bin.“ Ihre Position bringe allerdings vor allem Verwaltungsaufgaben mit sich, sagt Wulff-Bruhn. „Ich leite eine große Behörde mit allen Facetten.“ Als Vorgesetzte von fast 2.600 Vollzugsbeamtinnen und -beamten sowie rund 500 Verwaltungskräften gehöre nicht nur die ,operative Polizeiarbeit‘ zu ihren Aufgaben, sondern auch die Personalwirtschaft, die Bewirtschaftung der Liegenschaften, der Finanzhaushalt und die strategische Ausrichtung. 

Es hilft, „viele Führungsfunktionen in unterschied­lichen Bereichen der Polizei kennengelernt und dabei die Mitarbeitendenführung gelernt“ zu haben, sagt Wulff-Bruhn. „Im Übrigen darf man sich die Arbeit einer Polizeipräsidentin nicht so vorstellen, als ob ich die gut 3.000 Kolleginnen und Kollegen unmittelbar lenke und leite. Das wäre eine Nummer zu groß. Wir sind eine breit aufgestellte Organisation mit vielen Führungskräften. Aber es ist mir wichtig, dass ich die Impulse gebe.“

Verantwortung für Frauen attraktiv machen

Wesentlich sei ihr dabei unter anderem das Thema ,Gleichstellung von Mann und Frau bei der Polizei‘.
„Wir beschäftigen uns viel mit dem Thema Frauen in Führungsfunktionen, aber auch mit Themen wie Führen in Teilzeit, Organisationskultur und Fehlerkultur.“ Es gehe dabei vor allem um die Frage: „Führen wir hier mit Vertrauen oder mit Befehl und Gehorsam? Letzteres eben nicht!“

„Wir müssen dabei nicht bei Null anfangen“, sagt Wulff-Bruhn. Die Führungskräfte der Polizeidirektion Göttingen hätten bereits vor ihrem Amtsantritt den Weg hin zu einer modernen Organisation beschritten und zum Beispiel im Themenfeld Gleichstellung viel vorangebracht. „Da kann ich anknüpfen“, sagt die Präsidentin. „Fakt ist: Die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir an der Spitze der Polizeidirektion standen, haben für Frauen in Führungspositionen viel bewegt.“

Dennoch sei in dieser Hinsicht noch manches zu tun. „Es passiert nicht von allein, dass Männer und Frauen gleichermaßen in Führungsfunktionen vertreten sind. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt. Deshalb haben wir uns selbst einen anspruchsvollen und zielstrebigen Gleichstellungsplan als strategische Zielformulierung erstellt, um bei der Polizeidirektion Göttingen noch mehr Kolleginnen in Führungspositionen zu kriegen.“

Ein großes Netzwerk

Die vielfältige und bisweilen auch zeitintensive Aufgabe der Polizeipräsidentin mit ihren Aufgaben als alleinerziehende Mutter zu koordinieren, sei bisweilen sehr anspruchsvoll, sagt Wulff-Bruhn. Sie habe allerdings viel Unterstützung durch Familie, Freundinnen und Nachbarn. „Es ist ein großes Netzwerk. Das funktioniert gut.“ Auch sie selbst versuche, sich so weit wie irgend möglich einzubringen, nicht nur im Freundeskreis, sondern auch beim Sport. Als ehemalige Leistungsschwimmerin engagiere sie sich für ihren Sport, trainiere regelmäßig Kinder und Jugendliche und begleite sie am Wochenende zu Wettkämpfen. 

„Manchmal schwimme ich auch selbst noch“, sagt Wulff-Bruhn. Zudem spiele sie Tennis. „Und ich laufe auch gerne.“ Erst kürzlich sei sie Mitglied einer Marathonstaffel gewesen. Und in Göttingen hat die Polizeipräsidentin im vergangenen Sommer am ,Great Barrier Run‘ teilgenommen, der inzwischen in ,Obstacle City Run‘ umbenannt wurde. „Ich hatte viel Spaß dabei, aber es ist irgendwie auch eine Quälerei.“ 

Ob sie in diesem Jahr wieder an der Veranstaltung teilnehmen wird, lässt Wulff-Bruhn offen. Fest steht für sie: „Ich mache meine Arbeit bei der Polizei, die nicht nur ein Job für mich ist, sondern gewählte Berufung, sehr, sehr gerne. Ich gehe jeden Tag mit Motivation zum Dienst und kann mir beruflich nichts anderes vorstellen.“ Damit möchte sie auch andere Männer und Frauen ermutigen und inspirieren. ƒ 

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